34 Jahre Alltag schenken
- Jürgen Dostal

- 8. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Okt.
Ein Gespräch über Wandel, Kreativität und Herzblut mit Hermine, Alltagsbegleiterin aus Leidenschaft.
Es gibt Berufe, die man nicht einfach ausübt, sondern lebt. Wer einmal Frau Hermine begegnet, spürt das sofort: Sie ist Alltagsbegleiterin mit Herz und Seele – seit unglaublichen 34 Jahren. Eigentlich hatte sie ganz andere Pläne: Versicherungswesen, Kosmetik, Massage. Doch dann sprang sie als Karenzvertretung in einem Pflegeheim ein. Die Bewohner mochten sie so sehr, dass sie blieb. Aus einem Provisorium wurde eine Berufung.
Wir haben Frau Hermine Faustenhammer in ihrem neuen Arbeitsumfeld getroffen – dem „Weißen Hof“. Unser Gespräch zeigt, wie sehr sich Pflege und Betreuung in den letzten Jahrzehnten verändert haben, warum feste Strukturen so wichtig sind und was Hermine antreibt, auch nach so langer Zeit mit Freude zur Arbeit zu gehen.
Das Interview mit Frau Hermine wurde von Jürgen Dostal (JD, PROCONSENS.AT) geführt.

JD: Frau Hermine, Sie sind seit 34 Jahren in der Alltagsbetreuung tätig. War das schon immer Ihr Traumberuf?
Hermine: Nein, überhaupt nicht. Ich komme aus ganz anderen Bereichen – Versicherung, Kosmetik, Massage. Ich bin durch eine Karenzvertretung ins Heim gerutscht. Eigentlich wollte ich nur ausprobieren, ob mir das gefällt. Aber die Bewohner haben mich sofort aufgenommen – und dann bin ich geblieben.
JD: In drei Jahrzehnten hat sich sicher viel verändert. Was war aus Ihrer Sicht der größte Wandel?
Hermine: Am meisten hat sich die Zusammensetzung der Bewohner verändert. Früher hatten wir viele rüstige Senioren, die noch mobil waren. Heute betreuen wir wesentlich mehr Menschen mit Pflegestufe 4, oft mit mehreren Einschränkungen. Das verändert den Alltag enorm. Früher haben wir regelmäßig Tagesausflüge gemacht – heute ist das für viele schlicht nicht mehr möglich.
JD: Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Hermine: Wir brauchen feste Strukturen. Das ist das A und O. Die Bewohner verlieren leicht das Zeitgefühl, deshalb geben Rituale Sicherheit: Montag Bingo, Dienstag Ergogruppe, Donnerstag Musik. Auch die Dekoration ist wichtig – Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Man sieht und spürt die Jahreszeiten. So behalten die Menschen Orientierung.
JD: Viele stellen sich Alltagsbetreuung als Basteln und Spielen vor. Ist es das?
Hermine: Es ist viel mehr. Natürlich basteln wir, spielen Kegeln oder hören Musik – aber immer mit Sinn. Musik weckt Erinnerungen, Kegeln trainiert Motorik und Gemeinschaft, Basteln stärkt Selbstwert. Wir achten auf Erfolgserlebnisse: Bewohner brauchen Aufgaben, die sie schaffen können. Deshalb haben wir zum Beispiel „Wandersteine“ bemalt – mit Worten wie Treue, Liebe, Geborgenheit. Diese Steine liegen jetzt im Garten. Das ist sichtbar und macht stolz.
JD: Sie arbeiten nicht allein, sondern im Team. Wie funktioniert das Zusammenspiel?
Hermine: Sehr gut, weil wir uns regelmäßig austauschen. Es gibt Teamsitzungen, wo Pflege, Ärzte, Therapeuten und Alltagsbetreuung zusammenkommen. Nur so können wir Feste planen, individuelle Betreuung abstimmen oder Projekte wie die Wandersteine umsetzen. Ohne Kommunikation geht gar nichts.
Ich darf Ideen einbringen, Projekte starten, und die Bewohner danken es einem mit einem Lächeln oder einer Umarmung. Das ist unbezahlbar.
JD: Was hat Ihnen in den vielen Jahren besonders Freude bereitet?
Hermine: Die Kreativität! Ich darf Ideen umsetzen, Feste organisieren, Bewohner einbeziehen. Wir hatten schon ein Faschingsfest mit Fußball-Match, weil ein Bewohner-Sohn Fußballtrainer ist. Wir haben Bienchen-Kostüme gebastelt, ein Tor aufgestellt – das war ein Riesenspaß. Solche Momente, wenn die Augen leuchten, sind unbezahlbar.
JD: Gab es auch schwierige Zeiten?
Hermine: Natürlich. Der Umzug hierher in den Weißen Hof war eine Herausforderung. Für ältere Menschen ist jeder Ortswechsel anstrengend. Aber wir haben Abschiedsfeste gefeiert, viel erklärt und gestaltet. Jetzt wird es langsam heimisch. Wir hängen Bilder auf, dekorieren, planen Ausflüge – Schritt für Schritt entsteht ein Zuhause.
JD: Was wünschen sich die Bewohner am meisten?
Hermine: Vertrautheit und Lebensqualität. Ein Caféhaus, Friseur, Fußpflege – solche Kleinigkeiten sind wichtig. Viele Frauen waren früher wöchentlich beim Friseur. Diese Routine bedeutet Würde. Auch kleine Ausflüge tun gut: einmal in ein Einkaufszentrum fahren, Kaffee trinken, Menschen sehen. Das gibt Gesprächsstoff und Freude.
JD: Was motiviert Sie nach so langer Zeit immer noch?
Hermine: Die Freiheit, kreativ zu sein, und die Dankbarkeit der Menschen. Ich habe ein Umfeld, das mich unterstützt. Ich darf Ideen einbringen, Projekte starten, und die Bewohner danken es einem mit einem Lächeln oder einer Umarmung. Das ist unbezahlbar.
JD: Denken Sie manchmal ans Aufhören?
Hermine: Mein offizielles Dienstende ist 2026. Vielleicht höre ich dann auf – aber ich könnte mir vorstellen, ehrenamtlich weiterzumachen. Viele Ehrenamtliche hier sind über 80, manche sogar über 90! Sie sind für mich Vorbilder.
Warum solche Geschichten wichtig sind
Frau Hermines Erzählung zeigt, wie sehr Pflege mehr ist als medizinische Versorgung. Es geht um Alltag, um kleine Rituale, um Sinn. Wer in einem Heim lebt, braucht Struktur, Nähe und ein Stück Normalität. Menschen wie Hermine schenken genau das – seit Jahrzehnten.
Vielleicht sollten wir öfter an diejenigen denken, die in stiller Selbstverständlichkeit Leben verschönern: mit Geduld, Kreativität und Menschlichkeit. Denn Lebensqualität im Alter hängt nicht nur von Medikamenten oder Pflegestufen ab, sondern von Menschen, die zuhören, sich kümmern und ein Zuhause gestalten.

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