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„Das Rosendorf“ – Ein Interview mit den Gewinnerinnen des Ideenwettbewerbs im PBZ Tulln

Im PBZ Tulln fand kürzlich ein Ideenwettbewerb statt, bei dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Vorstellungen für die Zukunft des Hauses einbringen konnten. Insgesamt wurden zahlreiche Ideen eingereicht, viele davon mit großem Engagement und viel Herzblut. Die Psychologinnen Judith Sperker, Christina Hörker und Silvia Hameseder waren dabei gleich doppelt erfolgreich: Mit ihrer Idee Healing Architecture erreichten sie den zweiten Platz, und mit dem Konzept Das Rosendorf gewannen sie den Wettbewerb.


Im Interview sprechen sie über ihre Überraschung beim Sieg, über den roten Faden vieler Ideen und darüber, wie das „Rosendorf“ einmal aussehen könnte.


Das Interview führte Jürgen Dostal (PROCONSENS.AT), (JD).


Silvia Hameseder, Julia Sperker und Christina Hörker sind die Architektinnen des "Rosendorfes",
Silvia Hameseder, Judith Sperker und Christina Hörker sind die Architektinnen des "Rosendorfes",

Überraschung beim Sieg

JD: Herzlichen Glückwunsch! War es für Sie absehbar, dass Sie mit dem „Rosendorf“ den Wettbewerb gewinnen würden?

Judith Sperker: Ganz ehrlich – nein. Wir wussten, dass unsere Ideen Anklang gefunden hatten, aber wir hatten nicht damit gerechnet, gleich Platz 1 und 2 zu belegen.

Silvia Hameseder: Bei der Verkündung ging es ja von hinten nach vorne. Als unser Projekt Healing Architecture den zweiten Platz belegte, waren wir schon sehr zufrieden. Wir dachten: „Super, wir sind vorne dabei.“ Dann wollten wir uns eigentlich schon zurücklehnen – und plötzlich hieß es: Platz 1 geht auch an uns, mit dem „Rosendorf“. Das war wirklich eine große Überraschung.


Der rote Faden: Gemeinschaft

JD: Viele Ideen im Wettbewerb hatten einen ähnlichen Kern. Was war aus Ihrer Sicht der rote Faden?

Christina Hörker: Eindeutig das Thema Gemeinschaft. Die meisten Vorschläge zielten darauf ab, Orte und Gelegenheiten für Begegnung zu schaffen.

Judith Sperker: Das überrascht nicht. Wir befinden uns gerade in einer Phase des Umbruchs: Einrichtungen verändern sich, Arbeitswege werden länger, Teams werden neu zusammengesetzt. Solche Veränderungen verunsichern viele Menschen. Und gleichzeitig wächst das Bedürfnis, zusammenzuhalten und sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen.


Veränderung als Herausforderung

JD: Sie sind alle drei Psychologinnen. Was macht Veränderung mit Menschen?

Judith Sperker: Veränderung bedeutet zunächst Unsicherheit. Man weiß nicht, wie es weitergeht, was auf einen zukommt. Das macht Angst.

Christina Hörker: Wir haben das im PBZ sehr konkret erlebt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben von Schlafstörungen erzählt, manche waren angespannt oder unruhig. Veränderung wirkt sich direkt auf den Alltag aus – auf die Psyche, aber auch auf das körperliche Befinden.

Silvia Hameseder: Wichtig ist in solchen Situationen das soziale Umfeld. Familie, Freunde, Kolleginnen und Kollegen sind Schutzfaktoren, die helfen, Unsicherheit auszuhalten. Im PBZ war deutlich zu spüren: Das Team trägt. Wenn Kolleginnen und Kollegen zusammenhalten, wirkt das auch stabilisierend auf Bewohnerinnen, Bewohner und Angehörige.


Die Entstehung des Rosendorfes

JD: Wie kam es konkret zur Idee „Rosendorf“?

Christina Hörker: Wir wollten ein Konzept entwickeln, das nicht nur für eine Berufsgruppe oder einen Bereich passt, sondern für alle. Die Pflege braucht etwas anderes als die Küche oder die Verwaltung. Mit dem Rosendorf schaffen wir einen Rahmen, in dem sich jeder wiederfinden kann – Mitarbeitende ebenso wie Bewohnerinnen, Bewohner und Angehörige.

Judith Sperker: Uns war wichtig: Das Rosendorf soll nicht nur ein theoretisches Konzept sein, sondern auch bauliche und räumliche Konsequenzen haben. Als wir erst einmal im Fluss waren, sprudelten die Ideen. Jede von uns hatte sofort Bilder im Kopf.


Ein Dorf im PBZ – wie sieht das aus?

JD: Beschreiben Sie uns das Rosendorf. Wie müssen wir uns das vorstellen?

Silvia Hameseder: Im Zentrum steht ein großer Platz – ein Ort mit Bänken, Tischen, vielleicht einem Kaffeehaus, das seine Tische dorthin öffnet. Dieser Platz ist lebendig: Hier könnten Weihnachtsmärkte stattfinden, Frühlingsfeste, ein Maibaumaufstellen oder kleine Verkaufsstände aus der Werkstatt und Ergotherapie.

Judith Sperker: Rund um diesen Platz entstehen Grünflächen mit Bäumen und Blumenbeeten, aber auch kleine Geschäfte – eine Bibliothek zum Schmökern, eine Trafik, vielleicht ein Kiosk für den täglichen Bedarf. Ein Friseur gehört dazu, ein Café, vielleicht sogar ein kleiner Kinosaal oder ein Multimedia-Raum, wo man Fortbildungen und Veranstaltungen abhalten kann.

Christina Hörker: Wir stellen uns auch flexible Räume vor, die verschiedene externe Anbieter nutzen können: Heute kommt die Fußpflege, morgen der Optiker, übermorgen vielleicht jemand mit einem kreativen Workshop. So bleibt das Angebot abwechslungsreich.


Ein Rahmen für viele Ideen

Interviewer: Ihr Konzept klingt wie eine Klammer, in die sich viele andere Vorschläge einfügen ließen.

Judith Sperker: Genau. Unser Ansatz ist, ein übergreifendes Bild zu schaffen, in dem die vielen anderen guten Ideen Platz finden können. Das Rosendorf bietet den Rahmen, in dem Gemeinschaft sichtbar und erlebbar wird.


Inspiration aus den Niederlanden

JD: Gab es Vorbilder?

Silvia Hameseder: Wir haben uns inspirieren lassen, unter anderem von einem Demenzdorf in den Niederlanden, dem „Hogeweyk“. Dort wird Dorfleben im Kleinen nachgebildet – mit offenen Wegen, die immer wieder zusammenführen, mit Gärten, Plätzen und Treffpunkten.

Christina Hörker: Studien zeigen, dass soziale Kontakte, bekannte Rituale und die Möglichkeit, gewohnte Rollen weiterzuführen, das Wohlbefinden steigern. Auch Autonomie ist wichtig – die Möglichkeit, selbstständig kleine Erledigungen zu machen, stärkt das Selbstwertgefühl.

JD: Welche konkreten Effekte erwarten Sie vom Rosendorf?

Judith Sperker: Es ist ein ganzheitlicher Ansatz. Bewegung, geistige Anregung und soziale Kontakte wirken zusammen. Wenn ich mit meinem Rollator selbstständig zum Kiosk gehe, halte ich mich körperlich fit. Wenn ich ein Buch aus der Bibliothek hole oder ein Gespräch führe, bleibe ich geistig aktiv. Und wenn ich mich mit Angehörigen oder Mitbewohnern im Café treffe, stärkt das meine Psyche.

Silvia Hameseder: Viele Menschen werden aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen, wenn sie ins Heim ziehen. Das Rosendorf gibt ihnen ein Stück Normalität und ein Zuhause zurück.

Christina Hörker: Und es fördert Bewegung. Gerade bei manchen Erkrankungen gibt es einen starken Bewegungsdrang. In einem sicheren, geschützten Rahmen können die Menschen diesem Drang nachgehen, ohne dass man Angst um sie haben muss.


Für alle Generationen

JD: Könnte das Rosendorf auch Generationen verbinden?

Judith Sperker: Ja, das wäre ein wichtiger Zusatz. Denkbar wäre ein Betriebskindergarten oder regelmäßige Begegnungen mit Kindern. Schon jetzt besuchen Kindergärten das PBZ – im Rosendorf könnte das noch stärker integriert werden. So entsteht gelebtes Miteinander über Generationen hinweg.


Chancen und Hürden

JD: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass das Rosendorf tatsächlich realisiert wird?

Christina Hörker: Natürlich gibt es Hürden – bauliche, organisatorische, finanzielle. Aber unsere Aufgabe war es, Ideen zu geben. Wir wollten kreativ sein und nicht zu früh die Einschränkungen mitdenken. Es wäre schade, wenn man die Chance nicht nutzen würde, möglichst viel davon umzusetzen.

Judith Sperker: Und wenn es soweit kommt, sind wir gerne bereit, uns auch in späteren Phasen einzubringen.


Persönliche Bedeutung von Gemeinschaft

JD: Zum Schluss eine persönliche Frage: Welche Rolle spielt Gemeinschaft in Ihrem eigenen Leben?

Judith Sperker: Ich bin von Wien aufs Land gezogen – und ich genieße die spontanen Begegnungen: am Markt, beim Greißler, im Park. Es ist schön, dazu zu gehören.

Silvia Hameseder: Für mich bedeutet Gemeinschaft: nicht einsam sein, Unterstützung finden, Hilfe bekommen, wenn man sie braucht.

Christina Hörker: Ich empfinde Gemeinschaft als Lebensqualität. Die kleinen Begegnungen im Alltag – ein kurzer Plausch mit Nachbarn, eine Einladung auf einen Kaffee – machen das Leben reicher.


Ausblick

Mit dem „Rosendorf“ haben die drei Psychologinnen nicht nur den Ideenwettbewerb gewonnen. Sie haben auch einen Rahmen geschaffen, der viele Bedürfnisse vereint: Bewegung, Begegnung, Selbstständigkeit und Teilhabe. Das Konzept verbindet verschiedene Generationen, gibt Sicherheit und eröffnet neue Möglichkeiten der Gemeinschaft.


Ob und in welchem Umfang das Rosendorf Realität wird, liegt nun in den Händen der Entscheidungsträger. Klar ist: Die Idee hat das Potenzial, zum Modellprojekt zu werden – und vielleicht sogar weit über Tulln hinaus als Beispiel für gelebte Gemeinschaft zu wirken.

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