Ein Haus – auch wenn wir an mehreren Orten sind
- Jürgen Dostal

- vor 6 Tagen
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Aktualisiert: vor 5 Tagen
Ein Gespräch mit Birgit Muck, Pflege- und Betreuungsmanagerin (PBM) Wohnbereich 6, über Umzug, Unruhe und Zuversicht.
Der Wohnbereich 6 steht vor einem besonderen Schritt: Ende November übersiedelt das Team mit seinen Bewohnerinnen und Bewohnern in das moderne PBZ Korneuburg – vorübergehend, bis in Tulln wieder alles an einem Ort ist. Für Birgit Muck, seit zwanzig Jahren im Haus und seit einem Jahr leitet sie den Wohnbereich 6, bedeutet das: den Pflegealltag sichern und einen komplexen Umzug managen. Im Gespräch gibt sie Einblicke, was es braucht, um in Veränderung Stabilität zu schaffen – für das Team, für Angehörige und vor allem für die Menschen, die bei uns leben.
„Ich habe mit Organisation keine Probleme“, sagt Muck gelassen. „Herausfordernd sind die vielen Details.“ Dass Kolleginnen, die den Umzug bereits erfolgreich gemeistert haben, ist dabei enorm hilfreich. „Wir profitieren enorm davon, dass die anderen Bereiche uns auf Stolpersteine hinweisen: von E-Dokumentation bis Bestellwesen, von Lieferlogistik bis ‚Wer nimmt die Kiste wo entgegen?‘“ Es sind diese kleinen, aber entscheidenden Punkte, die in Summe über einen reibungslosen Start entscheiden.
Präsenz schlägt Bildschirm. Für sie ist die Gemeinschaft mit ihren Kolleginnen und Kollegen an den anderen Standorten gerade in der Interims-Unterbringung von entscheidender Bedeutung. Obwohl Videokonferenzen vieles erleichtern könnten, setzt Muck bewusst auf Treffen in körperlicher Präsenz: „Persönlich ist anders. Man spürt das Gegenüber, Missverständnisse klären sich schneller, und die Verbindung bleibt bestehen.“ Der Satz, der hängen bleibt: „Wir sind nach wie vor ein Haus.“ Auch wenn die Teams auf mehrere Standorte verteilt sind, bleibt der Anspruch, sich regelmäßig real zu begegnen – etwa im zweiwöchentlichen Jour fixe.
Das Interview mit Frau Muck wurde von Jürgen Dostal (PROCONSENS.AT) geführt.

Was Veränderung mit Bewohnern macht
Der Umzug wirft Schatten voraus – und weckt, je nach Persönlichkeit, Neugierde oder Unruhe. Wo Kisten geschoben und Möbel markiert werden, verändert sich Atmosphäre. „Gerade Menschen mit Demenz bekommen sehr viel mit – nur können sie es oft nicht einordnen,“ beschreibt Muck die aktuelle Situation im Wohnbereich. Unruhe im Team, hektische Kommunikation, ständiges Hin- und Hertragen – all das überträgt sich. Es gibt Bewohner, die auf kleinste Abweichungen sensibel reagieren: „Dann bricht manchen der Kaltschweiß aus, sie berichten von Schwindel oder Unwohlsein – medizinisch ist alles in Ordnung, aber psychisch ist die Anspannung spürbar.“
Gleichzeitig entstehen positive Impulse: „Viele sind neugierig. Ein Umzug ist wie eine Reise – auch im hohen Alter kann Vorfreude entstehen.“ Die Balance zwischen Sicherheit und Aufbruch ist das, was Muck und ihr Team täglich ausbalancieren.
Die Doppelrolle: Alltag sichern, Umzug steuern
Wie behält man den Überblick, wenn parallel Pflege, Angehörigenkontakte, Bestellungen, Terminabsprachen und die Vorbereitung von Transferlisten laufen? „Mit vielen Listen – und, ehrlich gesagt, mit so mancher schlaflosen Nacht,“ sagt Muck, ohne zu dramatisieren. Unterstützung wünscht sie sich vor allem dort, wo Fachabteilungen gefragt sind: „Für Möbel, Technik. Unsere Priorität sind die Bewohner: Mobilisation, Medikamente, Hilfsmittel.“
Inhaltlich unterscheidet sich der Schritt nach Korneuburg von früheren Umzügen. Manche Abläufe und Prozesse werden dort anders laufen als heute. „Wir sind es gewohnt, vieles sehr direkt zu regeln, weil wir über eigene Ärzte verfügen. Künftig läuft manches über externe Hausärzte. Das ist für uns neu, vielleicht komplizierter – vielleicht auch einfacher, wenn es sich eingespielt hat.“ Veränderung verunsichert, weil Routinen fehlen. Doch genau dafür schafft Muck Klarheit – durch Kommunikation und durch Sichtbarkeit vor Ort.
„Hingehen, anschauen, begreifen“
Das Team konnte sich bereits selbst einen Eindruck von den neuen Räumlichkeiten machen. Solche Begehungen sind Gold wert: „Erst wenn man die Räume betritt, merkt man: Die Küche ist 30 Zentimeter zu hoch – brauche ich eine Leiter? Wo ist die Spüle, wo das Hochregal, wo soll das Basismaterial untergebracht werden?“ Da wo augenscheinlich Nachteile bestehen, finden sich aber auch wieder Vorteile, die die Arbeit erleichtern: „Wir haben keinen Sozialraum für die Mitarbeiter am Wohnbereich – das ist ein Minus, dafür aber ein großes Büro. Es gibt einen großen Balkon und überall Wandheizungen – angenehm, aber Bilder können dort nicht einfach aufgehängt werden. Das fordert Kreativität, auch von Angehörigen.“
Der Blick nach vorne überwiegt:
„Ich finde es gar nicht schlecht, dass wir auf verschiedene Standorte verteilt sind – so haben wir die Möglichkeit, viel Neues zu sehen, zu vergleichen und das Beste für das neue PBZ Tulln vorzumerken: Was ist gut, was übernehmen wir, was ändern wir?“
Teamstimmung: Kampfgeist und Klartext
Auf die Frage nach der Motivation sagt Muck: „Positiv. Mit Kampfgeist.“ Sie rechnet mit zwei bis vier Wochen, bis alle Wege sitzen – bei Mitarbeitenden und Bewohnern. Dafür werden die ersten Tage bewusst didaktisch gestaltet: Beschriftungen, Tür-Pläne, kurze Wege, viel Begleitung.
Im Hintergrund stapeln sich auf Mucks Schreibtisch Listen: von Hilfsmitteln über Hilfsdienste bis Lastschriften (Fußpflege, Friseur, Apotheke). „Ja, da fühle ich mich – noch – recht allein. Aber das Team springt ein, wo es geht. Es hilft, dass wir offen sagen dürfen, was nicht rund läuft. Sonst verbessern wir uns nie.“
Klarheit schaffen: Dienstrecht & Zuständigkeiten
In den letzten Wochen wurde entschieden: Das Team bleibt organisatorisch in der Linie PBZ Tulln – bei gleichzeitiger Einbindung in die Strukturen Korneuburgs. Ein Spagat, der Fragen erzeugt: Wer prüft welches Hilfsmittel? Welche Prozesse gelten wo? „Heute sind es nur noch Kleinigkeiten – aber am Anfang war vieles offen,“ sagt Muck.
Entscheidend war ein gemeinsamer Tisch mit allen Schlüsselpersonen. Besonders hebt sie Katja Steininger, die Geschäftsführerin der Region Weinviertel hervor: „Sie hat ganz spontan an einem Gespräch teilgenommen, da hat sich vieles rasch geklärt.“ Seitdem ist das Thema „Dienstrecht“ spürbar entdramatisiert – und die Energie kann dorthin fließen, wo sie hingehört: in den Alltag und den Umzug.
Kommunikation mit Angehörigen: zu früh, zu spät – und doch lernend
Das vergangene Jahr nach dem Starkregen war, auch kommunikativ, ein Drahtseilakt. „Manchmal waren Informationen einfach zu früh, dann aber wieder zu spät da. Jeder hat in der Kommunikationskette eigene Bedürfnisse, das ist nicht einfach. Ob das wir als Mitarbeiter sind, oder eben die Angehörigen. Ich sehe auf jeden Fall die Bemühungen." resümiert Muck. Wichtig sei, daraus konkret zu lernen: digitale Kanäle nutzen, Postlaufzeiten mitdenken, und vor allem ehrlich sagen, was man weiß – und was noch nicht.
20 Jahre Verbundenheit – und Geschichten, die bleiben
Wer zwanzig Jahre in einem Haus arbeitet, hat unzählige Momente gesammelt – viele ernst, manche komisch, einige, die nahe gehen. Muck erzählt von einer demenziell erkrankten Bewohnerin, die sich im großen Spiegel nicht mehr erkannte und immer wieder dagegengehen wollte, in der Annahme es sei eine Türe. „Solche Bilder bleiben,“ sagt sie leise. „Es gibt Bewohner, die vergisst man nie.“
Diese emotionale Bindung erklärt, warum Veränderung im PBZ nie nur Logistik ist. Es geht um Beziehungen, um Routinen, um Identität. Darum, dass ein Ort heimisch ist – und ein neuer Ort es werden kann.
Was jetzt zählt
Worauf freut sich Birgit Muck nach dem Umzug am meisten? „Auf Ordnung,“ sagt sie und lacht. „Wenn die Kisten weg sind, die Listen abgearbeitet, alles seinen Platz hat.“ Dahinter steckt mehr als ein Sinn für Struktur. Es ist der Wunsch, dass Ruhe einkehrt – im Team, im Tagesablauf, in den Herzen der Bewohner.
Ihr Wunsch an Team und Bewohner am neuen Standort: „In Ruhe arbeiten können – neue Räume, aber gewohnte Qualität. Und dass alle rasch wieder in den Alltag zurückfinden.“ Realistisch bleibt sie: „Wir sind die Station mit den meisten demenziell Erkrankten. Das Ankommen wird Zeit brauchen – vier Wochen, vielleicht mehr. Aber dann wird es gut.“
Fazit
Dieses Gespräch zeigt, wie professionell und menschlich Veränderung gelingen kann: mit klaren Prozessen, echter Präsenz, der Bereitschaft, Unruhe zu benennen – und dem Mut, immer wieder zu sagen, was ist. „Wir sind nach wie vor ein Haus.“ sagt Birgit Muck. Der Satz ist Leitplanke und Versprechen zugleich: Auch wenn Wege sich ändern, bleibt das, was uns trägt – Verlässlichkeit, Zugehörigkeit und guter Alltag.

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